Fahrzeuglackierer: „Das kann doch jeder?“
Fahrzeuglackierer:
„Das kann doch jeder?“
Dreckig, laut, gesundheitsgefährdend: Der Beruf Fahrzeuglackierer hat bei jungen Leuten keinen guten Ruf – zu Unrecht! Sascha Petschke, Trainer PPG und selbst gelernter Fahrzeuglackierer, räumt auf mit fehlerhaften Annahmen und Vorstellungen über eine moderne und anspruchsvolle Beschäftigung.
Vorurteil 1: „Für die Ausbildung zum Fahrzeuglackierer braucht man keinen guten Schulabschluss.“
Sascha Petschke: „Sicher ist ein höherer Schulabschluss keine Voraussetzung für eine Ausbildung zum Fahrzeuglackierer. Ein guter, mindestens Hauptschulabschluss ist aber dennoch unabdingbar, ein Realschulabschluss in der Regel die noch bessere Basis für eine erfolgreiche berufliche Laufbahn – denn unser Beruf ist sehr komplex! Grundsätzlich stehen Fahrzeuglackierer heute vor vielschichtigen Anforderungen, die ohne bestimmte Grundlagen nicht zu erfüllen sind. Da wir unterschiedlichste Flächen und Objekte beschichten, ist ein generelles geometrisches Verständnis erforderlich.
Darüber hinaus muss der Fahrzeuglackierer Flächen- und Verhältnisberechnungen durchführen, etwa um Materialmengen und Mischungsverhältnisse zu bestimmen – ohne Mathematik geht es also auch in unserem Bereich nicht. Und da wir mit chemischen Produkten arbeiten, sollten angehende Fahrzeuglackierer ebenfalls ein Grundverständnis für chemische Zusammenhänge mitbringen. Naturwissenschaften generell sollten schon sein. Sprich: Wer glaubt, hier mit minimalsten Voraussetzungen erfolgreich zu sein, wird schnell eines Besseren belehrt.
Darüber hinaus erfordert die zunehmende Digitalisierung auch in unserem Beruf den Umgang mit hochmodernen Technologien. Softwareprogramme etwa im Rahmen der Prozessabwicklung, für das Farbton- oder das Lagermanagement, Farbtonmessgeräte und automatische Mischmaschinen wie RAPIDMATCH™ und MOON-WALK™, Tablets, Smartphones – dies ist nur ein Teil der digitalen Medien, die heute Standard in modernen Karosserie- und Lackierbetrieben sind. Ein weiterer Aspekt sind die Fahrzeuge selbst. Ein Beispiel dafür: Noch vor zwanzig Jahren konnte man einen Außenspiegel mit zwei Schrauben lösen. Heute sind dafür viel mehr Know-how und Fingerspitzengefühl gefragt, denn in modernen Außenspiegeln ist ein Kabelbaum verbaut, der jede Menge Elektrik und Sensoren enthält. Das heißt, ohne grundlegendes Verständnis für moderne Technologien kommt man hier nicht sehr weit. Und, da viele Produkte und Technologien aus dem Ausland stammen, können Englischkenntnisse ebenfalls nur von Vorteil sein“.
Vorurteil 2: Fahrzeuglackierer – ein einfacher Beruf ohne große Herausforderungen!
Sascha Petschke: „Einfach mal so ein Fahrzeug lackieren, diese Vorstellung ist fehlerhaft. Man sollte schon wissen, welche Schritte in welcher Reihenfolge und in welcher Weise durchgeführt werden müssen – die eigentliche Applikation ist ja letztlich nur ein Arbeitsschritt von vielen, die eine erfolgreiche Instandsetzung ausmachen. Ausbeulen, Spachteln, Schleifen, Füllern, wieder Schleifen, Applizieren, gegebenenfalls Einblenden, Finish – jeder dieser Schritte erfordert qualifiziertes fachliches Know-how, Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Zudem muss der Fahrzeuglackierer in der Lage sein, neben der effizienten Beschichtung großer Flächen auch sehr feine, filigrane Arbeiten durchzuführen, das heißt, er muss seine Techniken jederzeit den aktuellen Gegebenheiten anpassen können.
Darüber hinaus sollte er die Materialien genau kennen, mit denen er arbeitet, muss handwerklich geschickt sein und sich permanent fortbilden, um am Puls der Zeit zu bleiben, Stichwort moderne Technologien und Digitalisierung. Ist etwa eine ausgetauschte Stoßstange zu beschichten, muss der Lackierer ganz genau wissen, wo und wie er die Applikationsmaterialien auftragen darf, um keine Sensoren abzudecken. Ein Bewusstsein für die Komplexität einer Instandsetzung ist in diesem Beruf essenziell, denn nur die optimale Bearbeitung jedes einzelnen Reparaturschrittes führt am Ende zum Erfolg.
Und die Materialien, mit denen Fahrzeuglackierer und Karosseriebauer arbeiten, beanspruchen einen sauberen, konzentrierten und prozesssicheren Umgang.
Lackmaterialen sind hochwertige und teure HightechProdukte. Diese sicher und anwendungsbewusst zu verarbeiten, verlangt entsprechende Qualifikationen sonst wird es schnell sehr teuer für den Betrieb! Denken Sie ergänzend an die teilweise hochtechnologischen Ersatzteile der modernen Fahrzeuge, etwa wieder an einen Außenspiegel. Bestückt mit sehr viel Elektronik und Sensoren, kostet ein solcher Spiegel heute zirka 1.500 Euro. Wenn mit einem solchen Ersatzteil nicht sicher und geübt umgegangen wird, wirft das für den Betrieb schnell Kosten auf. Aussagen wie „Einfach mal so“ sind also völlig fehl am Platz.“
Vorurteil 3: Dreckig, laut, gesundheitsgefährdend.
Sascha Petschke: „Die meisten Menschen haben tatsächlich noch Vorstellungen im Kopf von kleinen, lauten, unsauberen Werkstätten, in denen unfreundliche Handwerker in öl- und farb- verschmierten Arbeitsanzügen ihren Aufgaben nachgehen.
Klar wird es in einer Werkstatt auch einmal laut, und sicherlich macht man sich auch die Hände schmutzig – wir sind schließlich im Handwerk! Das alte Bild ist aber schon sehr lange überholt: Karosserie- und Lackierbetriebe sind heutzutage hochmodern ausgestattet, legen äußersten Wert auf Sauberkeit und Prozesssicherheit! Das wird schon allein von Versicherern, Schadensmanagern und Endkunden eingefordert. Ein Betrieb, der diesen Anforderungen nicht nachkommt, ist heute nicht erfolgreich.
Klar ist auch, dass wir mit chemischen Produkten arbeiten, dass Stäube, Dämpfe und ölige, fettige Verbindungen zum Arbeitsalltag eines Fahrzeuglackierers gehören. Aber der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter steht in den Karosserie- und Lackierbetrieben an erster Stelle: Jeder Beschäftigte muss seine persönliche Schutzausrüstung tragen, etwa seine Ohren gegen Lärm und seine Atemorgane gegen Dämpfe und Stäube schützen. Wie das geht, lernt man in der Ausbildung.
Eine regelmäßige Unterweisung zum Thema Arbeitssicherheit wird darüber hinaus auch von der Berufsgenossenschaft vorgeschrieben. Zudem hat der Gesetzgeber in Sachen Gesundheitsschutz stark nachgebessert, sodass Aspekte wie hochmoderne Absaugungen und eine ausreichende Frischluftzufuhr heute Standard in den Werkstätten sind. Sprich: Neben grundsätzlich stark er höhtem Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben hat es der Fahrzeuglackierer selbst in der Hand, sich zu schützen – wie letztlich in jedem anderen handwerklichen Beruf auch. Insgesamt kann ich nur eine Lanze für unseren Berufsstand brechen: Fahrzeuglackierer sind gefordert, komplexe, teilweise herausfordernde Arbeiten durchzuführen. Sie benötigen mathematisches, naturwissenschaftliches, digitales und sprachliches Wissen, zudem Kreativität sowie viel fachliches Know- how, ebenso viel Fingerspitzengefühl und jede Menge Erfahrung. Sie müssen sich kontinuierlich fortbilden, immer mit der Zeit gehen und sich fortwährend neuen Herausforderungen stellen. Klingt das langweilig? Ich finde: Nun wirklich nicht!“
DIESER BEITRAG STAMMT AUS DER FML 11-12/2019